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Mehrere Verhaftungen bei Cannabis-Betrugsfall

Andreas Becker | Nicolas Martin
18. April 2024

Ermittler haben elf Personen wegen eines Anlage-Betrugssystems mit Cannabis verhaftet. Weitere Haftbefehle stehen aus. Die DW hat den Fall "JuicyFields" eng begleitet und frühzeitig auf die nun Verhafteten hingewiesen.

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Juicy Fields Grafik
Bild: Juicy Fields

Es war im Juli 2022, als tausende Anleger plötzlich nicht mehr an ihr Geld kamen. Sie hatten in ein Berliner Unternehmen mit dem Namen JuicyFields investiert. Das hatte zwei Jahre lang mit hohen Renditen für ein Investment in Cannabis gelockt. Doch im Juli brannten die Kriminellen mit dem Geld durch und tauchten unter.

Nach den neuesten Schätzungen der europäischen Polizeibehörde Europol hat das Berliner Startup bei Anlegern 645 Millionen Euro eingesammelt. Knapp 200.000 Menschen sollen JuicyFields ihr Geld anvertraut haben.

Weitere Verhaftungen könnten folgen

Ein Jahr und neun Monate später hatte die Polizei nun anscheinend ausreichend Beweise: In einer Nacht- und Nebelaktion mit dem Namen "Action Day"haben Behörden aus mehr als 30 Ländern Ende vergangene Woche gleichzeitig fast 40 Wohnungen und Büros durchsucht. 400 Beamte waren in elf Ländern im Einsatz und verhafteten insgesamt neun Personen - darunter auch den mutmaßlichen Strippenzieher in der Dominkanischen Republik.

Am Stockholmer Flughafen Arlanda wurden wenige Tage später eine Frau und ihr Freund festgenommen. Sie sollen laut einem Medienbericht nach Spanien überführt werden. Weitere Verhaftungen könnten folgen. So sagte ein Pressesprecher der spanischen Polizei im Gespräch mit der DW, dass weitere acht Haftbefehle vorliegen, die noch nicht vollstreckt seien. "Die Aktion ist ein Signal, dass wir in Europa auch bei komplexen Fällen die Kriminellen bekommen können", so der Sprecher weiter. 

Die Leitung der Ermittlung lag bei Behörden in Frankreich, Spanien und Deutschland. "Das war auf jeden Fall eine der größeren Nummern", sagte die Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft Berlin, Karen Häußer, zur DW. "Das erfordert auch sehr viele Personen, die daran beteiligt sind. Sehr viele spezialisierte Kräfte. Das war insgesamt schon ein enormer Kräfteaufwand, das zu ermitteln", so Häußer. 

Verhaftungen bestätigen DW-Recherchen

Auf internationalen Cannabismessen trat JuicyFields lange Zeit pompös auf: Mit Lamborghinis, Helikoptern, eindrucksvollen Partys und großen Messeständen versuchte das Unternehmen, das Vertrauen von Anlegern zu gewinnen.

Der DW kam das System JuicyFields bereits Mitte 2021 verdächtig vor. Seitdem recherchierte sie zu dem Fall. Sie befragte Manager zum Geschäftsmodell und begleitete euphorische Anleger, als die Betrugsmasche noch nicht aufgeflogen war. Nachdem die Kriminellen sich Mitte 2022 mit dem Geld der Anleger aus dem Staub machten, begab sich die DW auf die Spurensuche nach den Drahtziehern. Aus den Recherchen entstand der achtteilige Podcast Cannabis Cowboys, zu hören auf Englisch und Deutsch.

Action Day: Wer wurde verhaftet?

Die internationalen Verhaftungen bestätigen nun die DW-Nachforschungen. Weder die deutschen Behörden noch Europol wollen sich zur Identität der Verhafteten äußern. Doch durch eigene Recherchen und Insiderinformationen sind der DW die Namen bekannt. Dabei handelt es sich um diejenigen Personen, die schon im Rahmen der Podcast-Reihe beleuchtet wurden - bis hin zum mutmaßlichen Boss der Bande.

Wer steckt hinter JuicyFields?

In der Dominikanischen Republik wurde nun ein Mann mit russischem Pass festgenommen. Laut lokalen Medien handelt es sich dabei um Sergei Berezin, der auch unter dem Decknamen Paul Bergholts auftrat. Europol bezeichnet den Mann als den "möglichen Hauptorganisator des Betrugssystems".

Laut einem Whistleblower, den die DW Anfang 2023 in Finnland traf, hat sich Sergei Berezin alias Paul Berholts die Betrugsmasche bis ins letzte Detail ausgedacht. Demnach soll Paul Berholts ein Computernerd sein, der selbst gerne Cannabis raucht und mit seinem engsten Kreis vom russischen St. Petersburg aus agierte.

Lamborghinis vor Messe in Barcelona
Lamborghinis mit Firmenlogo sollten Anleger vom Erfolg von JuicyFields überzeugenBild: DW

Nach dem Ende von JuicyFields sollen er und sein enger Kreis mit Yachten in der Karibik gesegelt sein. "Sie haben dort Häuser und Land gekauft und in Unternehmen investiert", so der Whistleblower. Der nun verhaftete mutmaßliche Drahtzieher soll nun von der Dominikanischen Republik nach Spanien ausgeliefert werden.

Bei ihrem Großeinsatz konnte die Polizei Bargeld, Konten, Kryptowährungen und Immobilien im Wert von insgesamt neun Millionen Euro beschlagnahmen. Sollte die Summe im Laufe der weiteren Ermittlungen nicht anwachsen, werden Anleger wohl kaum einen Großteil ihre Einlagen wiedersehen.

Was war JuicyFields?

JuicyFields bot Investoren sogenanntes E-Growing an. Dabei konnte man am Anbau und Verkauf von medizinischem Cannabis profitieren. Anleger konnten auf dem Computer verfolgen, wie ihre Pflanzen wuchsen, getrocknet und verkauft wurden. JuicyFields versprach dabei absurd hohe Renditen von bis zu 100 Prozent im Jahr. Wie üblich bei einem Schneeballsystem, wurden diese anfangs auch ausbezahlt, um möglichst viele neue Anleger zu gewinnen. Denn bei einem Schneeballsystem werden alte Anleger mit den Einzahlungen von neuen Anlegern bedient.

Screenshot Juicy Fields
Die günstigste Pflanze Juicy Flash gab es für 50 Euro. Alle 108 Tage wurden Anleger und Anlegerinnen an der Ernte beteiligt. Hat man das mehrmals wiederholt, konnte man 1000 Prozent Gewinn im Jahr machen. Bild: Screenshot Juicy Fields

Die Einstiegshürde war dabei sehr niedrig. Schon ab 50 Euro konnten Anleger eine virtuelle Cannabis-Pflanze kaufen. Zwei Jahre funktionierte die Masche - JuicyFields eröffnete währenddessen Büros und Niederlassungen in Amsterdam und der Schweiz und verkündete etliche Partnerschaften und Beteiligungen.

Die Spur führt nach Russland

Bei ihren Recherchen hat die DW auch frühzeitig darauf hingewiesen, dass die Drahtzieher des Betrugssystems in Russland sitzen. Das bestätigt auch Karen Häußer von der Staatsanwaltschaft Berlin: "Momentan wird weiter davon ausgegangen, dass die Unternehmensstruktur von Russland aus gesteuert wurde."

Den Verhafteten muss nun der Prozess gemacht werden. In Deutschland muss das innerhalb von sechs Monaten stattfinden; in Spanien bis zu zwei Jahre nach Verhaftung. Verlängerungen sind möglich. Die Behörden müssen nun alle Daten auswerten, die ihnen zur Verfügung stehen. Womöglich setzen sie auch darauf, dass einige der Verhafteten mit der Polizei kooperieren.

Hier finden Sie achtteilige Podcast-Serie Cannabis Cowboys finden sie hier auf Deutschund hier auf Englisch. Und überall da wo es Podcasts gibt. 

Andreas Becker
Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.