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Immanuel Kant: Warum seine Philosophie so aktuell ist

21. April 2024

Wer auf die Stimme der Vernunft setzt, kommt an Immanuel Kant nicht vorbei. Am 22. April jährt sich der Geburtstag des deutschen Philosophen zum 300. Mal. Was hat er uns heute noch zu sagen?

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Kants Porträt in Seitenansicht vor Schriftzeilen des Philosophen
Historisches Porträt von Immanuel KantBild: Heinz-Dieter Falkenstein/imageBROKER/picture alliance

Wer die Welt verstehen will, muss sie nicht unbedingt bereisen. Es war Immanuel Kant (1724-1804), der das bewies. Am 22. April begeht die Welt seinen 300. Geburtstag. Der deutsche Philosoph hat seine ostpreußische Heimat Königsberg - heute Kaliningrad - nicht verlassen, doch seinem Weltverständnis tat das keinen Abbruch: Mit seinen Ideen revolutionierte er die Philosophie und wurde zum Vordenker der Aufklärung. Sein berühmtestes Werk, "Kritik der reinen Vernunft" gilt als Wendepunkt in der Geistesgeschichte. Heute zählt Kant zu den bedeutendsten Denkern der Geschichte.

Ein undatiertes, historisches Schwarzweiß-Foto des Wohnhauses von Immanuel Kant in Königsberg
Kants Wohnhaus in KönigsbergBild: akg-images/picture-alliance

Viele seiner Erkenntnisse gelten auch noch angesichts von Klimawandel, Kriegen und andere Krisen unserer Zeit. Was könnte zum Beispiel zu einem dauerhaften Frieden zwischen den Staaten führen? Kant empfahl 1795 in seiner Schrift "Zum ewigen Frieden" einen "Völkerbund" als föderale Gemeinschaft republikanischer Staaten. Politisches Handeln, so Kant, müsse sich grundsätzlich nach dem Gesetz der Sittlichkeit richten. Sein Werk wurde zur Blaupause für die Gründung des Völkerbundes nach dem Ersten Weltkrieg (1914-1918), dem Vorläufer der Vereinten Nationen, in deren Charta es seine Spuren hinterlassen hat.

Revolutionärer Denker: Immanuel Kant

Neben dem Völkerrecht entwickelt Kant auch ein Weltbürgerrecht. Damit erteilt er Kolonialismus und Imperialismus eine Absage und formuliert Ideen für einen menschenwürdigen Umgang mit Flüchtlingen: Jeder Mensch habe in jedem Land ein Besuchsrecht, so der Philosoph, aber nicht unbedingt ein Gastrecht.

Für Vernunft und Argumente

Kant begründet Menschenwürde und Menschenrechte nicht religiös mit Gott, sondern philosophisch mit der Vernunft. Kant traute den Menschen viel zu. Er hielt sie für fähig, Verantwortung zu übernehmen - für sich selbst und für die Welt. Mit Vernunft und Argumenten lässt sich das Leben meistern, glaubte Kant und formulierte dafür eine Grundregel: "Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte." Er nannte das den "kategorischen Imperativ". Heute würde man es so formulieren: Du sollst nur das tun, was zum Besten aller wäre.

1781 veröffentlicht Kant sein wohl bedeutendstes Werk. In der "Kritik der reinen Vernunft" stellt er die vier Grundfragen der Philosophie: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? Seine Suche nach Antworten auf diese Fragen nennt man Erkenntnistheorie. Im Gegensatz zu vielen Philosophen vor ihm legt er in seiner Abhandlung dar, dass der menschliche Verstand Fragen wie die nach der Existenz Gottes, der Seele oder dem Anfang der Welt nicht beantworten kann. 

"Kant ist kein Licht der Welt, sondern ein strahlendes Sonnensystem auf einmal." Was für ein Kompliment, das der Schriftsteller Jean Paul (1763-1825) seinem Zeitgenossen machte. Doch andere Geistesgrößen fanden Kants Schriften schwer verdaulich. Es koste "Nervensaft", sie zu lesen, klagte der Philosoph Moses Mendelssohn. Er selbst vermochte es nicht. 

Pionier der Aufklärung

Die Lehre und Schriften von Immanuel Kant legten den Grundstein zu einer neuen Denkweise. Kants Satz "Sapere aude" (deutsch: "Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen") wurde berühmt, er outete Kant als Vordenker der Aufklärung. Diese geistige Bewegung, die gegen Ende des 17. Jahrhunderts in Europa entstand, erklärte die Vernunft (Rationalität) des Menschen und ihren richtigen Gebrauch zum Maßstab allen Handelns. In seinen Schriften rief Kant dazu auf, sich von jeglichen Anleitungen (wie etwa Gottes Gebote) zu lösen und Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen. Dazu stammt auch dieses berühmte Zitat von ihm: "Was du nicht willst, dass man dir tut - das füg auch keinem andren zu."

Immanuel Kant auf einem historischen Gemälde
Immanuel Kant auf einem historischen GemäldeBild: Döbler

Über Kant kursieren bis heute zahlreiche Urteile und Vorurteile. Der deutsche Philosoph und Kant-Forscher Otfried Höffe hat in seinem neuen Buch "Der Weltbürger aus Königsberg" einige davon auf den Prüfstand gestellt, darunter die Frage, ob Kant ein "eurozentrischer Rassist" gewesen sei oder ob Kant Frauen diskriminiert habe. In beiden Fällen lautet seine Antwort: "Ja, aber ..."

Kein Stubenhocker

Ein Rassist im heutigen Sinne sei Kant nicht, im Gegenteil: Kolonialismus und Sklaverei habe er verurteilt. Zwar sei Kant nie über Königsberg hinausgekommen, doch sei die Hauptstadt von Ostpreußen seinerzeit eine pulsierende Handelsstadt gewesen, ein "Venedig des Nordens". Außerdem habe Kant Reiseberichte aus anderen Ländern geradezu verschlungen.

Und schließlich: War Kant ein verschrobener Stubengelehrter und Misanthrop? Auch mit diesem Vorurteil räumt die Wissenschaft heute auf: Kant hatte zwar einen streng geregelten Tagesablauf, genoss aber ausgedehnte Mittagessen mit Freunden und Bekannten, liebte Billard und Kartenspiele, ging ins Theater und galt in den Salons der Stadt als charmanter Unterhalter. 

Kant-Feiern überall

An Kant und sein Vermächtnis erinnern 2024 viele Veranstaltungen, auch in Deutschland: Die Bundeskunsthalle in Bonn etwa zeigte eine große Kant-Ausstellung. Im Juni folgt in Berlin eine große wissenschaftliche Tagung, im Herbst in Bonn ein Internationaler Kant-Kongress, der eigentlich in Kaliningrad geplant war, dort aber wegen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine nicht stattfinden kann.

Kants Grab ziert die Rückwand des Königsberger Doms - bis heute das Wahrzeichen der Stadt. Als eines der wenigen historischen Bauwerke überstand das gotische Gotteshaus die Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs und die anschließende Abrisswelle im Sowjetstaat. So populär Kant heute ist, so sehr werden seine Schriften von vielen politischen Strömungen vereinnahmt. Wer bezeichnet sich selbst als seinen Lieblingsdenker? Richtig - Immanuel Kant!

sd/suc/so (KNA/epd/dpa)