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PolitikItalien

Wie umgehen mit Klimaschutzaktivisten?

28. Mai 2023

Deutschland diskutiert über Razzien. Italien verhängt drakonische Strafen. Und in Großbritannien haben die Klima-Aktivisten selbst einen Blockade-Stopp verhängt. Wie Europa auf die Bewegung reagiert.

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Rom / Trevi Brunnen | Klimaproteste in Italien
Wasserschutzpolizei: Nach der Aktion im Trevibrunnen wurden die Mitglieder der "Letzten Generation" abgeführtBild: Mauro Scrobogna/LaPresse/ZUMA/dpa/picture alliance

In Deutschland war es am 24. Mai soweit: Polizei und Staatsanwaltschaft gingen erstmals mit einer bundesweiten Razzia gegen die "Letzte Generation" vor. "Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung", lautet der Tatvorwurf gegen die Klimaaktivisten in München. Hausdurchsuchungen und das Abschalten der Website war die Folge. 

Vier Tage zuvor hatten sich Klimaschutz-Aktivisten in Italien ein Ziel für ihren Protest ausgesucht, das ihnen maximale Aufmerksamkeit bescherte. Bilder zeigen, wie Mitglieder der "Letzten Generation" Italiens in den berühmten Trevi-Brunnen in Rom steigen, und eine schwarze Flüssigkeit, mit Wasser verdünnte Holzkohle, in das kristallklare Wasser kippen. Ihre Forderung auf den Spruchbändern: "Ein sofortiges Ende der öffentlichen Subventionen für alle fossilen Brennstoffe." Michele von der "Letzten Generation" Italien verteidigt die Aktion gegenüber der DW als symbolischen Akt.

Rom / Trevi Brunnen | Klimaproteste in Italien
Maximale Aufmerksamkeit, maximaler Ärger: Am 21. Mai stiegen Mitglieder der "Letzten Generation" in Rom in den berühmten Trevi-Brunnen und schütteten Holzkohle ins WasserBild: Mauro Scrobogna/LaPresse/ZUMA/dpa/picture alliance

"Der schwarze pflanzliche Kohlenstoff steht für fossile Brennstoffe, die das Wasser verschmutzen. Wir haben uns entschieden, den Touristen für ein paar Stunden die Freude am klaren Wasser zu nehmen, damit sie begreifen, was der Klimawandel bedeutet", erklärt sie.

Regierung Meloni verschärft Gesetze

Roms Bürgermeister Roberto Gualtieri verurteilte den Protest aufs Schärfste: 300.000 Liter Wasser müssten ausgetauscht werden und dafür würde eine Menge Energie verbraucht. Die Aktivistinnen und Aktivisten landeten auf der Polizeiwache und müssen mit drakonischen Strafen rechnen. Vandalismus an Kulturgütern, lautet die Anklage, die strafrechtliche Sanktionen und 10.000 bis 60.000 Euro Schadensersatz nach sich ziehen könnte.

"Die Politik hat solche Protestaktionen von Anfang an scharf verurteilt, die Regierung von Giorgia Meloni hat bisher keinerlei Verständnis gezeigt", sagt der wissenschaftliche Direktor des Zentrums für Europäische Politik (Cep) in Rom, Andrea De Petris gegenüber der DW. "Allerdings wird es jetzt interessant zu sehen, ob sich die Wahrnehmung der Gesellschaft angesichts der aktuellen Umweltkatastrophe ändern wird."

Italien Rom | Andrea de Petris
Politologe Andrea de Petris: "Das Interesse für Umweltschutz ist in Italien im Vergleich zu Deutschland sehr niedrig"Bild: Privat

14 Tote gab es nach den verheerenden Regenfällen und Überschwemmungen in der Provinz Emilia Romagna, der Klimawandel wird auch in Italien immer spürbarer. Bisher, so De Petris, war ein Großteil der italienischen Bevölkerung den Protesten der Letzten Generation gegenüber negativ eingestellt, ganz wie in Deutschland, nur wenige seien der Meinung, dass die Politik zu wenig Klimaschutzpolitik mache.

"Eventuell könnte sich die Meinung durch die Unwetter jetzt ein wenig drehen. Es gibt Menschen, welche die Ziele der Letzten Generation durchaus teilen, aber nicht die Mittel."

Gegen Autos in Deutschland, gegen Kultur in Italien

Während sich die Protestaktionen der "Letzten Generation" in Deutschland mit dem Festkleben auf Straßen hierzulande vor allem gegen Autofahrer und Verkehrspolitik richten, zielen die Aktivisten und Aktivistinnen im Süden auf den italienischen Nerv: die Kulturgüter.

Zu den "Zielen" gehörte der Palazzo Vecchio in Florenz, der mit orangener Farbe besprüht wurde. Oder auch der Brunnen an der Spanischen Treppe in Rom, in dem schwarze Farbe landete. Ein Gemälde von Vincent Van Gogh in Rom, auf das Erbsensuppe geschüttet wurde. Und nun der Trevi-Brunnen in der Hauptstadt.

"Letzte Generation" – Razzien in sieben Bundesländern

Beim Kampf gegen die Straftaten der Klimaschutz-Aktivisten zeigt sich Italien rigoros. Im norditalienischen Padua wird gegen die "Letzte Generation" wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. Und auch die auf Terror- und Extremismusbekämpfung spezialisierte Einheit der Staatspolizei bearbeitet den Fall.

Blockade-Stopp in Großbritannien

Beim Kampf der Aktivisten gegen die Klimakrise kämpft in Europa jeder für sich. Wer bei der "Letzten Generation" in Deutschland anruft und nach dem Kontakt von den Mitstreitern in Italien fragt, wird auf deren Homepage verwiesen.

Auch bei der Wahl der Mittel sind sich längst nicht alle einig: während sich die "Letzte Generation" in Spanien an zwei Gemälden von Francisco de Goya in Madrid festklebte, kündigten die Aktivisten von "Extinction Rebellion" in Großbritannien im Januar einen vorläufigen Stopp ihrer Blockade-Aktionen an.

Spanien Klima-Aktivistinnen kleben sich in Madrid an Goya-Gemälden fest
Protestaktion im November 2022 in Madrid: Klima-Aktivisten kleben sich an Goya-Gemälden festBild: FuturoVegetal via REUTERS

Wer verstehen will, wie die Klimaschutz-Bewegungen in Europa ticken, muss mit Louisa Parks sprechen. Die politische Soziologin an der oberitalienischen Universität von Trient beschäftigt sich seit Jahren mit der Frage, wie gezielte Kampagnen und Aktivismus Einfluss auf die internationale Politik nehmen können.

Ihre Bilanz: "Länder haben unterschiedliche Traditionen, was die Art der Protestaktionen betrifft. Diese unterliegen auch einem ständigen Wandel, jeweils abhängig von den politischen Möglichkeiten."

An einem Tisch mit Aktivisten?

So haben sich in Deutschland jüngst Vertreter der "Letzten Generation" mit Verkehrsminister Volker Wissing ausgetauscht. Ein Treffen, dass in Italien undenkbar wäre. 

Louisa Parks, Politikwissenschaftler in Trient, Italien
Soziologin Louisa ParksBild: Privat

In ganz Europa steht die Politik allerdings vor der Frage, wie sie mit Organisationen wie der Letzten Generation umgehen soll. Stellvertretend für den schwierigen Umgang sind die diversen Meinungen zum Thema in Deutschland.

Während Christdemokraten sich für eine Beobachtung der Klimaprotestgruppe durch den Verfassungsschutz aussprechen, kritisieren Politikwissenschaftler die Razzia als unverhältnismäßig. Dies könne Aktivisten noch weiter in die Radikalität treiben.

Die Vereinten Nationen fordern, die moralische Stimme junger Menschen müsse geschützt werden. Soziologin Parks erklärt: "Die Entscheidung, harte Maßnahmen zu ergreifen, ist eine bewusste Entscheidung darüber, wie man mit Aktivisten umgeht, die bestimmte Forderungen vertreten. Regierungen sind nicht gezwungen oder 'hilflos'. Wenn wir andere Formen des störenden Aktivismus in den letzten Jahren betrachten, wie zum Beispiel gegen Impfungen oder die Verwendung von Masken, wird deutlich, dass diese Reaktion eine bewusste Entscheidung ist."

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur