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Lee Miller: Vom begehrten Model zur Kriegsfotografin

Tanya Ott
11. Juni 2023

Ihr Leben war dicht und intensiv. Im Zweiten Weltkrieg fotografierte sie sich in Hitlers Badewanne, sie hielt die Gräuel der Nazis fest und wurde eine der renommiertesten Bildjournalistinnen des 20. Jahrhunderts.

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Auf einem Schwarz-Weiß-Foto, das Lee Miller 1941 in London aufgenommen hat, sitzen zwei Frauen am Eingang eines hölzernen Luftschutzbunkers, beide nach rechts zur Kamera gewandt. Die Frau auf der rechten Seite trägt eine Metallschutzmaske über den Augen, die Frau auf der linken Seite eine Metallschutzmaske mit Augenlöchern über dem ganzen Gesicht und einen Metallhelm.
"Fire masks", London, 1941. Diese Aufnahme entstand am Eingang zum Luftschutzbunker im Garten von Roland Penroses Haus in Hampstead.Bild: Lee Miller Archives, East Sussex, England. www.leemiller.co.uk

Geboren 1907 in Poughkeepsie, etwa 100 Kilometer nördlich von New York City, interessiert sich Elizabeth "Lee" Miller schon früh für die Künste und für Europa. Mit 18 Jahren ging sie nach Paris, um an einer Theaterschule Beleuchtung, Kostüm und Design zu studieren. Ein Jahr später zog sie nach New York City, wo sie Theater, Zeichnen und Malen studierte.

Lee-Miller-Ausstellung in Erfurt 2020:  Zwei Personen stehen vor einem großen schwarz-weiß-Foto von Lee Miller, die im Profil zu sehen ist. Sie trägt die für die 1920er Jahre typische Kleidung und einen Cloche-Hut.
Lee Miller begann in den späten 1920er Jahren zu modeln und posierte für legendäre Fotografen wie Edward Steichen und George Hoyningen-Huene.Bild: Martin Schutt/picture alliance/dpa

Das "zufällige" Model

Kaum angekommen im Big Apple wurde sie zu einem der gefragtesten Models der Stadt. Es war ein Zufall, der sich ereignete, als Conde Nast, Herausgeber der Zeitschrift "Vogue", sie davor bewahrte, von einem Auto überfahren zu werden. Doch Miller hatte schnell genug vom Modeln und interessierte sich mehr dafür, selbst zu fotografieren.

Auf einem Schwarz-Weiß-Foto aus dem Jahr 1966 posiert der Künstler Man Ray vor einem Porträt, das er von Lee Miller angefertigt hat.
Liebes- und Arbeitsbeziehung: Man Ray und Lee Miller inspirierten sich gegenseitigBild: picture alliance / dpa

Surrealismus mit Man Ray

1929 kehrte sie nach Paris zurück, wo sie Schülerin, Muse, Geliebte und Mitarbeiterin des Künstlers und Fotografen Man Ray wurde. Gemeinsam machten sie die Solarisation zu einem ihrer ästhetischen Markenzeichen. (Das Porträt von Miller auf dem Bild oben hat Ray mit dieser Technik angefertigt.) Doch Miller gründete ihr eigenes Fotostudio und etablierte sich als eigenständige Künstlerin.

Auf einem Schwarz-Weiß-Foto von Lee Miller aus dem Jahr 1937 sieht man eine ägyptische Wüstenlandschaft durch einen zerrissenen Stoff.
Lee Miller: "Portrait of space" (Ägypten, 1937)Bild: Lee Miller Archives, East Sussex, England. www.leemiller.co.uk

Kunstschaffen in der Wüste

Nachdem sie Man Ray verlassen hatte, heiratete Miller 1934 ihren ersten Mann, den ägyptischen Geschäftsmann Aziz Eloui Bey, und zog mit ihm nach Kairo. Dort wandte sie ihr durch den Surrealismus geschultes Auge auf die Fotografie der ägyptischen Naturlandschaft an, was zu einigen ihrer bekanntesten Kunstwerke führte wie dem Foto "Portrait of Space" (s.o.).

Schwarz-weiß-Aufnahme: Zwei Frauen, der Umrisse erkennbar sind, blicken rechts aus dem Bild, in der Mitte ein Scheinwerfer, der in die gleiche Richtung strahlt.
Lee Miller: 'Auxiliary Territorial Service searchlight operators' (North London, 1943) - Reportage über die weibliche Suchscheinwerfer-Einheit in LondonBild: Lee Miller Archives, East Sussex, England. www.leemiller.co.uk

Kriegsfotografie mit den Augen einer Surrealistin

1937 kehrte Miller erneut nach Paris zurück, wo sie ihren zweiten Ehemann, den britischen surrealistischen Maler Roland Penrose, kennenlernte. Das Paar ließ sich in London nieder, wo 1947 ihr gemeinsamer Sohn zur Welt kam.

Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, beschloss Miller, ihre fotografischen Fähigkeiten als Kriegsberichterstatterin für die Zeitschrift "Vogue" zu nutzen. Sie reiste durch England und Europa - auch an die Front. Sie war die einzige Fotografin, die die Erlaubnis erhielt, unabhängig in die Kriegsgebiete zu reisen. In den Fotos, die sie in dieser Zeit machte, verschmolzen Fotojournalismus und Kunst, denn ihre surrealistische Sensibilität prägte die Gestaltung ihrer Aufnahmen.

Auf einem Foto von Rainer Jensen aus einer Lee-Miller-Ausstellung in Wolfsburg 2006 blickt eine Frau auf ein Schwarz-Weiß-Foto von Miller in einer Badewanne.
Miller 1945 in Hitlers Münchner Wohnung, in die sie von den Alliierten einquartiert wurde, nachdem sie das befreite Konzentrationslager Dachau dokumentiert hatteBild: Rainer Jensen/picture-alliance/dpa

Die Frau in Hitlers Badewanne

Lee Miller hatte einen Blick für die kleinen Momente, die anderen vielleicht entgehen. Eines ihrer berühmtesten Fotos zeigt sie selbst beim Baden in Hitlers Badewanne am 30. April 1945 in München - am selben Tag, an dem der Nazi-Diktator in Berlin Selbstmord beging. Die Alliierten hatten sie dort einquartiert, nachdem sie das befreite Konzentrationslager Dachau, nah der bayrischen Hauptstadt, fotografiert hatte.

Mehr noch als von dem Wunsch nach Ästhetik war Miller von Empathie motiviert. Ihre Fotos von Tod, Zerstörung und menschlichem Leid, dessen Zeuge sie wurde, haben auch mehr als sieben Jahrzehnte später nichts von ihrer schockierenden Kraft verloren.

Auf einem Schwarz-Weiß-Foto von Lee Miller aus dem Jahr 1944 steht sie neben Picasso und lächelt ihn an. Er hat seine linke Hand um ihren Nacken gelegt hat. Im Hintergrund befindet sich eine weiße Statue von Picasso, die einen Mann darstellt.
Lee Miller: "Picasso and Lee Miller in his studio" (Paris, 1944)Bild: Lee Miller Archives, East Sussex, England. www.leemiller.co.uk

Freundschaft mit Picasso

Lee Miller war mit mehreren Künstlerkollegen eng befreundet, darunter auch mit Pablo Picasso. In den vier Jahrzehnten, in denen sie sich kannten, machte sie fast tausend Fotos von dem spanischen Jahrhundertmaler. Er malte sie sechs Mal. Millers Sohn Antony Penrose hat ein Kinderbuch über seine Kindheitserlebnisse mit dem Künstler geschrieben. Der Titel: "The Boy Who Bit Picasso". Dieses Foto von Miller und Picasso wurde in Picassos Atelier in Paris kurz nach der Befreiung der Stadt durch die Alliierten aufgenommen.

Auf einem Schwarz-Weiß-Foto von Lee Miller aus dem Jahr 1940 liegt eine zerstörte mechanische Schreibmaschine zertrümmert auf dem Boden.
Lee Miller: "Remington Silent" (London, 1940)Bild: Lee Miller Archives, East Sussex, England. www.leemiller.co.uk

Abschied vom Fotojournalismus

Miller blieb von dem, was sie während des Krieges sah und dokumentierte, tief betroffen und litt nach ihrer Rückkehr nach England unter Depressionen. Schließlich gab sie die Fotografie auf und widmete ihre Kreativität dem Kochen von Gourmetgerichten für Freunde und Familie.

Sie starb 1977 im Alter von 70 Jahren an Krebs. Lee Millers bahnbrechender Einfluss und ihr Vermächtnis, sowohl als Künstlerin als auch als Kriegsreporterin, haben ihr einen wichtigen Platz in der Geschichte der Fotografie des 20. Jahrhunderts eingebracht. Das Bucerius Kunst Forum in Hamburg widmet Lee Miller in diesem Jahr eine Retrospektive (10.6.- 24.9.2023). 

Adaption aus dem Englischen: Petra Lambeck