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SportGlobal

Olympia-Goldprämie in der Leichtathletik: Fluch oder Segen?

Stefan Nestler | Jonathan Crane Mitarbeit
18. April 2024

Der Leichtathletik-Weltverband World Athletics will bei Olympia 2024 in Paris eigene Siegprämien zahlen. Ein Verstoß gegen den olympischen Geist, wettern die einen. Eine überfällige Entscheidung, sagen die anderen.

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Die deutsche Weitspringerin Malaika Mihambo präsentiert ihre 2021 in Tokio gewonnene olympische Goldmedaille.
Weitspringerin Malaika Mihambo war die einzige deutsche Olympiasiegerin bei den Spielen 2021 in TokioBild: Anke Waelischmiller/Sven Simon/picture alliance

Der Leichtathletik-Weltverband World Athletics hat offenbar in ein Wespennetz gestochen. Weltweit wird über den Vorstoß des Verbands debattiert, Olympia-Goldprämien zu zahlen. World Athletics hatte in der vergangenen Woche angekündigt, für Siege in den 48 Leichtathletik-Wettbewerben der Olympischen Sommerspiele in Paris (26. Juli bis 11. August) je 50.000 US-Dollar (rund 46.800 Euro) auszuschütten. Bei den Spielen 2028 in Los Angeles soll es nach Angaben von World Athletics auch Prämien für Silber und Bronze geben. Es ist das erste Mal in der 128 Jahre alten Geschichte der Olympische Spiele der Neuzeit, dass ein Weltverband einer einzelnen Sportart Siegprämien für Olympiasiege auslobt.

"Ich halte es für wichtig, dass wir irgendwo anfangen und dafür sorgen, dass ein Teil der Einnahmen, die unsere Athleten bei den Olympischen Spielen generieren, direkt an diejenigen zurückfließt, die die Spiele zu dem weltweiten Spektakel machen, das es ist", sagte World-Athletics-Präsident Sebastian Coe. Der Olympiasieger im 1500-Meter-Lauf bei den Spielen 1980 und 1984 riskiert damit Streit - nicht nur mit dem Internationen Olympischen Komitee (IOC), sondern auch mit den Weltverbänden anderer Sportarten.

Sebastian Coe, Präsident von World Athletics, spricht während eines Meetings der Exekutive des Verbands in Monaco.
Sebastian Coe, Präsident von World Athletics, wird als möglicher Nachfolger von IOC-Chef Thomas Bach gehandeltBild: Handout via World Athletics/REUTERS

So gab es bereits deutliche Kritik des Radsport-Weltverbands UCI. "Der olympische Geist besteht darin, die Einnahmen zu teilen und dafür zu sorgen, dass mehr Athleten weltweit antreten können", sagte UCI-Präsident David Lappartient. "Wir sollten nicht alles Geld auf die Spitzensportler konzentrieren, sondern das Geld verteilen."

Gefälle zwischen den Sportarten

Das IOC setzt auf ein Solidarmodell. 90 Prozent der Einnahmen aus Olympischen Spielen fließen an Organisationen der Olympischen Bewegung - in erster Linie an die Weltverbände der Sportarten und die Nationalen Olympischen Komitees. Mit den restlichen zehn Prozent bezahlt das IOC seine Verwaltung und das Olympische Museum in Lausanne.

Nach den Sommerspielen 2021 in Tokio verteilte das IOC rund 540 Millionen Dollar (505 Millionen Euro) an 28 Weltverbände. Am meisten strich World Athletics ein: fast 40 Millionen Dollar. Am unteren Ende der Liste landeten die Weltverbände für Taekwondo, Golf und Rugby mit jeweils knapp 13 Millionen Dollar. Es gibt also hier bereits ein finanzielles Gefälle zwischen den Sportarten.

Das 100-Meter-Rennen der Frauen bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio.
Der Leichtathletik-Weltverband erhielt nach den Spielen 2021 in Tokio den größten Batzen der IOC-GelderBild: Dylan Martinez/REUTERS

Darauf wies auch Großbritanniens Ruderlegende Steven Redgrave hin, als er die Entscheidung des Leichtathletik-Weltverbands scharf kritisierte. "Die meisten anderen Sportarten werden dem nicht folgen können. Sie [World Athletics - Anm. d. Red.] machen daraus einen Zweiklassen-Prozess. Das ist in meinen Augen die falsche Richtung", sagte der fünfmalige Olympiasieger der Zeitung "Daily Mail". Die Prämien, so Redgrave, seien eigentlich überflüssig. "Wenn man eine olympische Goldmedaille in einer Leichtathletik-Disziplin gewinnt, kann man damit beträchtliche finanzielle Gewinne erzielen."

World-Athletics-Vorstoß ohne Absprache

In eine ähnliche Richtung geht die Antwort des Tennis-Weltverbands ITF auf eine Anfrage der DW, ob auch er an Prämien für Olympiasieger denke. "Die Möglichkeit, um das Prestige einer olympischen Medaille zu kämpfen, war schon immer ein einzigartiger und besonderer Anreiz für die Spieler, an den [Olympischen] Spielen teilzunehmen", teilte die ITF mit. Der Tennisverband stellte klar, dass er sein Vorgehen, wenn überhaupt, nur in Absprache mit dem IOC und der ASOIF - dem Bündnis der bei Sommerspielen vertretenen Verbände - ändern würde. Der Basketball-Weltverband FIBA lehnte es gegenüber der DW ab, den Vorstoß von World Athletics zu kommentieren. Nur so viel: "Die FIBA plant nicht, [Olympia-] Preisgelder im Basketball einzuführen."

Offenbar wurden das IOC, die Weltverbände der Sportarten und auch die Nationalen Olympischen Komitees von der Initiative des Leichtathletik-Verbands und seines Präsidenten Coe überrascht. "Das ist eine Debatte, die wir führen können, aber wir müssen sie zur richtigen Zeit, am richtigen Ort und gemeinsam führen", sagte Andy Anson, Chef der British Olympic Association, gegenüber dem TV-Sender "Sky Sports". "Sie [World Athletics] schaffen ein Problem, denn nun werden andere Sportarten sicherlich ins Visier genommen oder sogar von Athleten unter Druck gesetzt, die sagen: 'Was ist mit unserem Sport? Warum kann dieser Sport es machen und wir nicht?'"

Das jubelnde Team der deutschen Handballerinnen hinter einem großen Schild mit der Aufschrift Ticket to Paris.
Auch Deutschland Handballerinnen haben das Olympia-Ticket für Paris gelöstBild: Marco Wolf/wolf-sportfoto/IMAGO

Die Interessenvertretung "Athleten Deutschland" begrüßte dagegen den Vorstoß von World Athletics. Es sei ein "Weckruf für das IOC und die anderen Weltverbände, die Athleten endlich an den durch sie generierten Einnahmen zu beteiligen", sagte Ex-Basketballer Johannes Herber, der Geschäftsführer der Organisation. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) reagierte gelassen. Es liege "in der Verantwortung des Leichtathletik-Weltverbands, wie er die Einnahmen, die er vom IOC erhält, verteilt", ließ die Dachorganisation des deutschen Sports wissen.

Sporthilfe-Prämie für Leichtathleten obendrauf

Der DOSB unterstütze die Prämienvergabe der Stiftung Deutsche Sporthilfe an Aktive, die bei Olympischen Spielen auf den Plätzen eins bis acht landeten. Die Sporthilfe, die über öffentliche Mittel, Spenden, Lotterieeinnahmen und Benefizveranstaltungen finanziert wird, fördert seit über 50 Jahren deutsche Sportlerinnen und Sportler. 2024 wird sie nach eigenen Angaben rund 23 Millionen Euro ausschütten, so viel wie noch nie zuvor. Für Gold in Paris gibt es 20.000, für Silber 15.000 und für Bronze 10.000 Euro. Platz acht wird immerhin noch mit 1500 Euro honoriert. Das gilt für alle Sportarten.

"Die Sporthilfe-Prämien gelten auch für die Leichtathletinnen und Leichtathleten - unabhängig davon, ob sie von Verbänden, privaten Sponsoren oder sonstigen Dritten für ihre Erfolge honoriert werden", teilt die Sporthilfe auf Anfrage der DW mit. Mit anderen Worten: Deutsche Leichtathletik-Gewinnerinnen und Gewinner von Paris 2024 könnten sich doppelt freuen. Sie würden nicht nur die 50.000 Dollar Gold-Prämie von World Athletics kassieren, sondern obendrauf auch noch die 20.000 Euro der Sporthilfe.

DW Kommentarbild Stefan Nestler
Stefan Nestler Redakteur und Reporter