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UN wollen Diebstahl geistigen Eigentums bekämpfen

Kristie Pladson
9. Mai 2024

Entwicklungsländer kämpfen gegen ungewollte Vereinnahmung durch Industriestaaten und deren willkürliche Patentschutzbestimmungen auf Kosten ihrer Natur, Kultur und Tradition. Diese "Bio-Piraterie" soll beendet werden.

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Eine Bäuerin in Ätrhiopien erntet Teff-Getreide
In Äthiopien wird Teff (Hirse) seit Jahrtausenden angebaut, aber jetzt hält eine europäische Firma das Patent auf das GetreideBild: Seyoum Getu/DW

Vor einigen Jahren wurde der deutsche Professor Tim Dornis, Experte für den Schutz geistigen Eigentums, während eines Sabbatjahres in Kalifornien vom Generalsekretär der GRUR, der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, angesprochen: "Wir sehen gerade eine sehr wichtige Entwicklung in Genf", sagte dieser, "die wir uns näher ansehen müssen. Das könnte etwas Bahnbrechendes sein."

Genf ist der Sitz der WIPO, der World Intellectual Property Organization, eine UN-Agentur zum weltweiten Schutz geistigen Eigentums (IP: Intellectual Property). IP-Gesetze befassen sich mit dem rechtlichen Schutz und den Eigentumsrechten jener Menschen, die mit geistigen Mitteln Neues schaffen - Kunstwerke ebenso wie Erfindungen und schriftliche Arbeiten.

Dornis, der die GRUR bereits bei anderen WIPO-Konferenzen vertreten hatte, reiste in die Schweiz und schaute genauer auf das, was bei der WIPO gerade geschieht. "Und da", erzählte er der DW, "sah ich, dass das wirklich etwas Grundlegendes, Bahnbrechendes sein könnte."

Zwischen dem 13. und dem 24. Mai soll eine Konferenz auf diplomatischer Ebene in Genf ein international gültiges gesetzliches Instrumentarium schaffen, das die "Wirksamkeit, die Transparenz und die Qualität des Patentsystems" verbessert. Laut einer Presseinformation der WIPO soll verhindert werden, dass "Patente fälschlicherweise für Erfindungen vergeben werden, die weder neu sind noch Neues in Bezug auf genetische Ressourcen und traditionelles Wissen, das mit genetischen Ressourcen verbunden ist, schöpfen."

WTO-Hauptsitz im schweizerischen Genf
Mit der Gründung der Welthandelsorganisation WTO kam auch das Thema Bio-Piraterie auf die internationale AgendaBild: Lian Yi/Xinhua/picture alliance

Ausbeutung und Aneignung

Seit mehr als 25 Jahren drängen Entwicklungsländer und indigene Völker auf die Einführung von IP-Gesetzen, die ihre lokale Fauna und Flora, ihr tradiertes Wissen und ihre Kultur vor der Ausbeutung durch Fremde besser schützt. In den vergangenen Jahren sind Rufe nach größerer Verantwortlichkeit durch Unternehmen lauter geworden, die das geerbte Wissen oder das kulturelle Erbe fremder Länder oder indigener Kulturen nutzen.

Modefirmen werden zur Rede gestellt, weil sie traditionelle Elemente in ihren Kollektionen verwenden. Pharmakonzerne stehen unter Beobachtung, wenn sie medizinisch wirksame Pflanzen in ein Medikament verwandeln, dass sie dann verkaufen. Kritiker dieser Praktiken sprechen im ersten Fall von kultureller Aneignung und im zweiten, wenn es um den Gebrauch genetischer Ressourcen etwa bei Pflanzen geht, von Biopiraterie.

"Das fällt nicht wirklich in das bereits existierende IP-System, wie etwa das Patentrecht oder das Urheberrechtsgesetz", sagt Wend Wendland, Direktor der Abteilung Traditionelles Wissen, genetische Ressourcen und kulturelle Traditionen bei der WIPO zur DW.

Ein langwieriger Prozess

Die Diskussion über gesetzliche Maßnahmen in diesem Bereich hatte schon viel früher begonnen, nämlich 1995 unmittelbar nach der Gründung der Welthandelsorganisation WTO. Dabei wurden internationale Standards für die Rechte am geistigen Eigentum formuliert, die alle WTO-Mitglieder umsetzen mussten.

In Indien zeigte sich bei der Umsetzung dieser Standards Beunruhigendes: Fremde Länder, in der Hauptsache Industriestaaten wie etwa die USA, hatten Patente beantragt für Produkte, die in Indien seit Jahrhunderten Teil traditioneller Praktiken sind.

Viswajanani Sattigeri, Vorsitzende der TKDL (Traditional Knowledge Digital Library), eine Initiative, die das traditionelle Wissen der indischen Kultur sammelt und digital archiviert, nannte der DW Beispiele dafür: "Da ist etwa Gelbwurz, oder Kurkuma, das zur Förderung der Wundheilung eingesetzt wird oder der Basmatireis wegen seiner pilztötenden Eigenschaften und so weiter."

Sattigeri erklärt, worin das Problem besteht: Wenn auf der Grundlage des traditionellen Wissens einer Gemeinschaft ein Patent an eine fremde Partei erteilt wird, wird der Patenthalter zum "Eigner" dieses Wissens: "Die Nation verliert ihr ureigenes Erbe und ihr tradiertes Wissen."

Eine ugandische Farmerin mit einer Bastschale voller Samen
Eine ugandische Farmerin mit einer Bastschale voller Samen - doch welche "gehören" ihr überhaupt noch?Bild: DW

Wissensverlust aufhalten

Die 193 Mitgliedsstaaten der WIPO wollen in Genf ein Übereinkommen ratifizieren, das zu einem umfassenderen Schutz der strittigen Werte führt. Dazu hat sie diese Werte in drei Bereiche unterteilt, die besonders bedroht sind: genetische Ressourcen, traditionelles Wissen und kulturelles Erbe. Genetische Ressourcen umfasst biologisches Material etwa von Pflanzen oder Tieren, das genetische Informationen enthält, während traditionelles Wissen oder Kulturgut über Generationen weitergegebenes Wissen ist, das meist mündlich überliefert wird.

Das betrifft das Wissen über Nahrungsmittel, Landwirtschaft, Gesundheitsversorgung. Biodiversität und anderes. Kulturelles Erbe sind künstlerische Werke, die die Überlieferung und die Identität einer Gruppe spiegeln, wie etwa Musik, Design oder Kunst allgemein. "Das verändert das klassische Verständnis von 'geistigem Eigentum'", sagt Dornis. "Es könnte das System aufbrechen, in dem viele Dinge einfach ungeschützt sind."

Bei der gegenwärtigen IP-Gesetzeslage endet der Schutz für Werke geistiger Arbeit einige Jahre nach dem Zeitpunkt ihrer Entstehung. Viele Kulturgüter und -praktiken sind über hunderte von Jahren entwickelt und weiter gegeben worden, so dass sie gar nicht geschützt sind. Und es gibt auch nicht einen einzelnen Schöpfer oder Urheber, dem ein Patentrecht zustehen könnte. Schließlich ist dieses Wissen kollektiv entstanden und entwickelt worden und es ist daher schwierig, seine Entstehung einer bestimmten Gemeinschaft oder Region zuzuordnen.

Das macht es einer fremden Partei leichter, sich dazwischenzuschalten, das Wissen einer Gemeinschaft zu sammeln und zu nutzen und es dann in ihrem eigenen Land patentrechtlich schützen zu lassen. Das, sagt Dornis, ermöglicht es weiterentwickelten Ländern, Wissen zu nutzen, ohne dessen Urheber dafür zu bezahlen. "Wenn Sie eine pharmazeutische Entwicklung dringend brauchen, dann müssen sie für das medizinische Produkt, das auf Ihren genetischen Ressourcen beruht und ihrem traditionellen Wissen entspringt, bezahlen - weil es ja patentgeschützt ist."

Eine traditionelle Öl-Behandlung im Ayurveda, ein 'Janu Basti', zur Behandlung von Knieschmerzen
Ayurveda: Eine traditionelle Öl-Behandlung, ein 'Janu Basti', zur Behandlung von KnieschmerzenBild: Sam Panthaky/AFP/Getty Images

Offenlegung und Entschädigung

Die Konferenz im Mai fokussiert sich auf die genetischen Ressourcen. Es soll gesetzliche Voraussetzungen schaffen, damit jene, die innerhalb der WIPO ein Patent beantragen, offenlegen müssen, woher die Pflanze oder das traditionelle Wissen, das sie nutzen wollen, kommt und ob sie die Erlaubnis haben, es auch zu nutzen. Solle es zu einer solchen Übereinkunft kommen, wird sich der Fokus im Anschluss darauf richten, wie man die anderen Kriterien klarer definieren kann.

Der Gesetzesentwurf zielt auch darauf ab, Datensammlungen wie die von Sattigeri aufzubauen. Das TKDL in Indien, die weltweit erste Datenbank ihrer Art, hat über Jahrzehnte hinweg Information - viele von ihnen in Sanskrit - gesammelt und übersetzt und eine Datensammlung geschaffen, mit der Patentanwälte arbeiten können. Sattigeri zur DW: "Wir haben uns auf indische Gesundheitssysteme, namentlich Ayurveda und Unani, konzentriert und darauf, welche Yoga-Schulen es hier gibt und auf ein große Wissen über alles, was Gesundheit - einschließlich Tier- und Pflanzengesundheit - angeht und über Kosmetik."

Bei einem Patentantrag können Anwälte solche Datenbanken nutzen und herausfinden, ob es Ähnliches nicht bereits schon gibt. Auch Staaten können profitieren, wenn sie Patentrechten nachspüren und sie herausfinden wollen, ob diese nicht vielleicht auf Ressourcen oder Traditionen fußen, deren Ursprung in ihren Ländern liegt.

Geld und Respekt

Länder mit einer reichen Biodiversität fordern schon seit Jahrzehnten solche Offenlegungspflichten. Die WIPO-Übereinkunft, sollte sie zustande kommen, wird keine Entschädigungsverpflichtungen formulieren. Aber bereits bestehende Umwelt-Gesetze legen bereits jetzt fest, dass finanzielle Gewinne von Erfindungen mit dem Land, in dem sie ihren Ursprung haben, geteilt werden müssen. Strengere Entschädigungsgesetze könnte so zu höheren Ausgleichszahlungen für solche Länder führen.

Laut Wend Wendland von der WIPO sehen viele Entwicklungsländer die angestrebte Regulierung als einen wichtigen Schritt nach vorn: "Deshalb ist es ihnen wichtig. Es ist sehr technokratisch, aber es hat eine lange Geschichte. Und darin liegt auch sehr viel Symbolismus für viele Länder, ganz besonders in den Entwicklungsländern."