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Vertuschter Dopingskandal in Chinas Schwimmsport?

22. April 2024

Eine ARD-Doku kommt zu dem Schluss, dass positive Dopingproben von fast zwei Dutzend chinesischen Aktiven unter den Tisch gekehrt wurden, auch mithilfe der Welt-Anti-Doping-Agentur. Die will den Fall jetzt untersuchen.

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Zhang Yufei beim 200-Meter-Schmetterling-Rennen der Olympischen Spiele von Tokio, von unten im Becken aus fotografiert.
Auch Doppel-Olympiasiegerin Zhang Yufei (oben) wurde positiv getestetBild: Ding Xu/Xinhua News Agency/picture alliance

Ein möglicher weiterer großer Dopingskandal erschüttert den Weltsport, weniger als 100 Tage vor Beginn der Olympischen Spiele in Paris (26. Juli bis 11. August).

Was ist geschehen?

Nach Recherchen der ARD-Dopingredaktion und der US-Zeitung "New York Times" wurden bei einem Schwimmwettkampf im Januar 2021 in Shijiazhuang, der Hauptstadt der nordchinesischen Provinz Hebei, 23 chinesische Schwimmerinnen und Schwimmer positiv auf die verbotene Substanz Trimetazidin getestet. Die chinesische Anti-Doping-Agentur CHINADA stufte das Ergebnis jedoch nicht als konkreten Verdachtsfall ein, die Aktiven durften weiter starten. Begründung: Es habe sich um niedrige Konzentrationen und schwankende Werte gehandelt, so die CHINADA. Die chinesischen Schwimmerinnen und Schwimmer seien Opfer einer "Massenkontamination" in der Küche des Teamhotels geworden, so die offizielle Erklärung der CHINADA.

Die ARD-Dopingredaktion ließ die chinesische Version in einem Experiment in einem deutschen wissenschaftlichen Fachlabor nachstellen und überprüfen. Ergebnis: Es hätte so sein können, ist aber extrem unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher sei, dass die Aktiven die Dopingsubstanz bereits Wochen vorher eingenommen hätten.

Um welche Schwimmerinnen und Schwimmer geht es?

Die 23 betroffenen Aktiven gehörten zum Schwimm-Nationalkader Chinas, einige von ihnen zählen inzwischen zur Weltelite. Drei von ihnen gewannen 2021 bei den Olympischen Spielen in Tokio Gold: Zhang Yufei wurde sogar Doppel-Olympiasiegerin (200 Meter Schmetterling, 4x200-Meter-Freistilstaffel), Wang Shun gewann Einzelgold (200 Meter Lagen der Männer), Yang Junxuan Staffel-Gold (4x200-Meter-Freistilstaffel der Frauen). Ebenfalls betroffen war Qin Haiyang, Vierfach-Weltmeister 2023.

Chinas Schwimmer Qin Haiyang feiert seinen Sieg über 200 Meter Brust bei der WM in Fukuoka, indem er mit den Armen ins Wasser schlägt.
Qin Haiyang wurde nach seinen vier WM-Titeln von Fukuoka zum "Weltschwimmer des Jahres 2023" gekürtBild: Zhang Xiaoyu/Xinhua News Agency/picture alliance

Drei der positiv getesteten Aktiven waren zum Zeitpunkt der Dopingkontrolle in Shijiazhuang noch minderjährig, zwei von ihnen - damals 15 Jahre alt - wurden später Staffelweltmeisterinnen: Wang Yichun (2023) und Yu Yiting (2024).

Um welches Dopingmittel handelt es sich?

Trimetazidin ist ein Wirkstoff, der in Medikamenten gegen die Herzkrankheit Angina Pectoris verwendet wird. Die Substanz sorgt dafür, dass die Muskeln besser mit Energie und Sauerstoff versorgt werden, sie begünstigt zudem den Muskelaufbau. Trimetazidin ist bei der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA seit 2014 als verbotene Substanz gelistet. Sie wird als Dopingsubstanz vor allem in Ausdauer- und Kraftsportarten genutzt.

2014 wurde der damalige chinesische Schwimmstar Sun Yang, Doppe-Olympiasieger von London 2012, positiv auf Trimetazidin getestet und drei Monate gesperrt. Auch im Dopingskandal um die damals erst 15 Jahre alte russische Eiskunstläuferin Kamila Walijewa bei den Olympischen Spielen 2022 in Peking ging es um diesen Wirkstoff. Der Internationale Sportgerichtshof CAS sperrte Walijewa 2024 rückwirkend für vier Jahre. Russland verlor deswegen die Goldmedaille im Team-Wettbewerb, weil die junge Eiskunstläuferin damals zur siegreichen Mannschaft gehört hatte.

Hat die WADA den Fall vertuscht?

Normalerweise werden Athletinnen und Athleten, die unter Dopingverdacht stehen, umgehend suspendiert, bis die Vorwürfe geklärt sind. Im aktuellen Fall durften die chinesischen Aktiven jedoch weiterhin an Wettkämpfen teilnehmen. Die WADA erklärte, sie sei im Juni 2021 von der CHINADA über den Vorgang informiert worden und habe ihn mehrere Wochen lang "sorgfältig überprüft". Wegen der Corona-Pandemie habe sie dies nicht vor Ort tun können. Am Ende, so die WADA, habe man die Theorie der Kontamination im Teamhotel nicht widerlegen können und konstatiert, "dass sie mit den analytischen Daten in der Akte vereinbar war". Den Athletinnen und Athleten habe "keine Schuld oder Fahrlässigkeit" angelastet werden können.

Die WADA sah zunächst keine ausreichenden Beweise, um neue Ermittlungen einzuleiten. Sie behielt sich wegen der so wörtlich "irreführenden Informationen" rechtliche Schritte gegen die beteiligten Medien vor.

Inzwischen aber hat der Weltdoping-Agentur einen unabhängigen Staatsanwalt eingeschaltet, um ihren Umgang mit den Vorfällen untersuchen zu lassen. Darüber hinaus kündigte die globale Aufsichtsbehörde an, ein "Compliance-Team" nach China zu entsenden, um "den aktuellen Stand des Anti-Doping-Programms des Landes" zu bewerten. Ein Schuldeingeständnis ist das freilich nicht. 

"Wir weisen die falschen Anschuldigungen weiterhin zurück und freuen uns, dass wir diese Fragen in die Hände eines erfahrenen, angesehenen und unabhängigen Staatsanwalts legen können", sagte WADA-Präsident Witold Banka in einer Erklärung. Der ehemalige Schweizer Staatsanwalt Eric Cottier soll die Vorfälle untersuchen und dazu "vollen und uneingeschränkten" Zugang zu allen Akten und Dokumenten zu dem Fall erhalten.

Wie reagiert die Sportwelt?

Travis Tygart, Chef der US-Anti-Doping-Agentur USADA, spricht in der ARD-Dokumentation von "schockierenden Enthüllungen" und einem "Messer im Rücken aller sauberen Athleten". Er wirft der WADA und der CHINADA vor, die positiven Tests unter den Teppich gekehrt zu haben. Nach seiner Meinung hätten die Aktiven zumindest vorläufig suspendiert werden müssen.

Das sehen die Athletenvertretungen "Global Athlete" und "Fair Sport" genauso und fordern eine rasche Aufklärung. Wenn die Vorwürfe zuträfen, handele es sich um "ein weiteres katastrophales Versagen des globalen Anti-Doping-Systems und unterstreicht die Notwendigkeit, die WADA-Struktur aufzulösen", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der beiden Organisationen.

Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser, in der deutschen Regierung zuständig für den Sport, sieht die WADA in der Pflicht. "Wenige Monate vor den Olympischen Spielen muss der im Raum stehende Verdacht des Wegschauens oder gar Vertuschens schnellstens umfassend aufgeklärt werden", sagte die SPD-Politikerin. Christian Hansmann, Leistungssportdirektor des Deutschen Schwimmverbands (DSV), sprach von "beunruhigenden" Nachrichten aus China und forderte "gegebenenfalls auch Konsequenzen - nur so kann die Integrität des Sports gewahrt werden".

Das chinesische Außenministerium wies den ARD-Bericht als "Fake News" zurück. Es habe "weder ein Verschulden noch Fahrlässigkeit" vorgelegen.

Was bedeutet der Fall für die Olympischen Spiele in Paris?

Solange sich die WADA weigert, neue Ermittlungen einzuleiten und damit einen begründeten Dopingverdacht einzugestehen, können alle 23 betroffenen chinesischen Schwimmerinnen und Schwimmer theoretisch bei den Spielen in Paris starten.

Chinas Schwimmern Zhang Yufei mit ihren vier Olympia-Medaillen von Tokio
Zhang Yufei könnte, Stand jetzt, ihre Titel von Tokio verteidigen - wenn sie sich für Paris qualifiziertBild: Xu Chang/Xinhua News Agency/picture alliance

Noch bis zum kommenden Samstag (27. April) laufen in der Stadt Shenzhen im Südosten des Landes die chinesischen Schwimm-Meisterschaften. Dabei werden nicht nur die nationalen Titel vergeben, sondern auch die Olympia-Tickets für Paris.

DW Kommentarbild Stefan Nestler
Stefan Nestler Redakteur und Reporter